Oberdeutsch und Schwäbisch


Obordeidsch ond Schwäbisch



Die hochschwäbische Grammatik wird oft für eine schwäbische Eigenheit gehalten.
Aber ist das so? Ein Blick über den schwäbischen Kirchturmhorizont hinaus zeigt:

Viele Eigenschaften der schwäbischen Sprache, durch die es sich vom Hochdeutschen unterscheidet, sind keine nur schwäbischen Eigenschaften. Viele dieser Unterschiede finden sich auch im Bairisch-Österreichischen, im Alemannisch-Südbadisch-Schweizerischen und im Südfränkischen wieder. Diese Sprachen fasst man deshalb gemeinsam mit dem Schwäbischen in der Germanistik als "Oberdeutsch" zusammen. Es handelt sich hier um eine der drei Hauptgruppen des Deutschen: Niederdeutsch, Mitteldeutsch und Oberdeutsch.


Hochdeutsch


Das heutige Hochdeutsche ist eine Sprache, die aus dem Mitteldeutschen heraus entstand, näherhin aus dem östlichen Mitteldeutschen, wie es im Bereich Sachsen gesprochen wurde. Bei der Entstehung des heutigen Hochdeutschen aus dem Mitteldeutschen heraus sind dann auch einige Elemente des Oberdeutschen eingeflossen. Hochdeutsch ist, vereinfacht gesagt, eine Mischsprache mit mitteldeutscher Grammatik und der oberdeutschen Art der Konsonanten. Seine Aussprache dagegen erfolgt weder mitteldeutsch noch oberdeutsch, sondern auf der Basis der recht wenigen niederdeutschen Vokale und Diphthonge.


Oberdeutsch

Oberdeutsch ist die zusammenfassende germanistische Bezeichnung für die Sprachen der großen Südhälfte des deutschen Sprachraums. Dieses oberdeutsche Gebiet umfasst folgende Gebiete (siehe nachfolgende  Karte): Alemannisch, Bairisch, Schwäbisch und Südfränkisch.

In diesem Bereich gab es einst eine weitgehend gemeinsame Grammatik, zum Beispiel bei den Verben und den Substantiven. Diese oberdeutschen Gemeinsamkeiten stammen aus der Zeit des Altoberdeutschen (ca. 850 - 1150 n. Chr.). Etwa um 1000 n. Chr begann die Auftrennung in Ostoberdeutsch (Bairisch-Österreichisch) und in Westoberdeutsch (Schwäbisch-Alemannisch). Diese Auftrennung geschah entlang des Flusses Lech, dessen viele Kilometer breites Fluß-und Schotterbett  damals ein sehr großes Verkehrshindernis darstellte. 

Nach der Aufteilung entwickelten sich die beiden oberdeutschen Sprachgebiete auseinander. So unterscheiden sich zum Beispiel das Ostoberdeutsche und das Westoberdeutsche in der Bildung der Diminutive: Die ostoberdeutschen Bayern und Österreicher sagen z. B. "Haferl" (mit Endung "erl"). Die westoberdeutschen Schwaben dagegen sagen "Häfele" (mit Endung "le") und die ebenfalls westoberdeutschen Alemannen "Häfeli" (mit Endung "li").


Schwäbisch

Die schwäbische Sprache unterscheidet sich von den anderen oberdeutschen Sprachen vor allem durch ihre völlig andere Phonetik (Aussprache, Sprachklang), dazu auch durch einen gewissen Sonderwortschatz, kaum aber durch ihre Grammatik.

Viele Gemeinsamkeiten mit den anderen oberdeutschen Sprachen bestehen nach wie vor in der Grammatik der Verben und der Substantive. Eine durchgehende Gemeinsamkeit ist auch der Wegfall des unbetonten Endungs-e bei allen Arten von Wörtern (Verben, Substantive, Pronomen usw.).

Fazit: Die schwäbische Grammatik ist keine schwäbische Eigenart.
Sie ist eng verwandt mit der Grammatik der anderen oberdeutschen Sprachen.
 



Beispiele für oberdeutsche Gemeinsamkeiten


1. Bildung des Partizips Perfekt ohne das Augment "ge"

Weithin bekannt ist, dass das Schwäbische bei vielen Verben das Partizip Perfekt ohne das im Hochdeutschen übliche Augment "ge" bildet, also: bliiba geblieben, drädda getreten, komma gekommen, zoga gezogen usw. Diese Art der Perfektbildung ist keine schwäbische Eigenheit, sondern eine großräumige oberdeutsche Gemeinsamkeit.

Sie gilt genuin bairisch-österreichisch genauso genuin alemannisch-sübadisch-schweizerdeutsch und auch genuin südfränkisch. Alle diese Sprachen bilden ihr Partizip Perfekt nach genau der gleichen Grammatik. Legendär ist der Satz des Münchener Oberbürgermeisters zum Fassanstich beim Oktoberfest: "Ozapft is!" Angezapft ist es!



2. Bildung des Konjunktivs durch das Hilfsverb "tun"

Die Verwendung des Verbs "tun" als Hilfsverb für die Bildung des Konjunktivs wird vor allem dem Schwäbischen zugeschrieben: "I dääd äbbes schreiba" ich würde etwas schreiben wird für speziell schwäbisch gehalten. Aber auch Bairisch-Österreichisch und Alemannisch gilt genuin "tun" statt "würde", ebenso im Saarland und im südlichen Rheinland-Pfalz/Hessen, mithin in mehr als der Hälfte des deutschen Sprachraums! Der einzige Unterschied liegt darin, das sich das Schwäbische hier besonders resistent gegenüber dem zerstörenden hochdeutschen Sprachdruck zeigt, während ihm in den anderen oberdeutschen Sprachen das "ich täte" schon weitgehend zum Opfer gefallen ist.

Der europäische Blick: Das Hilfsverb "tun" ist ein gemeinsam wichtiges Erbe der germanischen Sprachen. Es hat im im Oberdeutschen genauso Karriere gemacht wie im Englischen das parallele "(to) do". Nur das Hochdeutsche hat sich irrational aus dieser Gemeinschaft verabschiedet.



 3. Anderes Geschlecht von Substantiven

Viele Wörter besitzen im Schwäbischen ein anderes Geschlecht wie im Hochdeutschen, z. B. der Buddor Butter, der Haeschrägg Heuschrecke, der Schogglaad Schokolade, der Zaeja Zehe, der Zwiibl Zwiebel, das Radio, das Tunnel u. v. a. m. Dieses andere Geschlecht ist vielfach eine gesamtoberdeutsche Gemeinsamkeit, gilt also nicht nur schwäbisch, sondern auch bairisch-österreichisch und alemannisch-südbadisch-schweizerisch.

Diese Geschlechtsvariationen waren das ganze Mittelalter hindurch akzeptiert. Das Mittelalter war geradezu modern und liberal, was das Gendern von Substantiv anbelangt.

Erst der Duden begann, gegenüber diesen Wörtern genderfeindlich aufzutreten und jedes dieser Wörter in eine geschlechtliche Zwangsjacke zu stecken. Wäre der Duden eine Person, würde man ihn wegen schweren Vergehens gegen die freie Wahl der geschlechtlichen Identitiät vor Gericht stellen.